31 Juli 2008

Haben und Sein

(WZ-Kolumne)

Ein Wunder mit wie wenig man auskommt. Die Kleider, die ich dabei habe, zum Beispiel - sie passen in einen Plastiksack. Obwohl ich mich schon längst daran gewöhnt habe, erstaunt es mich doch ab und an, wenn ich mein bescheidenes Hab und Gut auf einem Bett ausgebreitet sehe.
Warum muss es zu Hause denn immer das zehnfache des eigentlich Nötigen sein? Die Kleider, die ich dort habe, passen nur knapp in meinen riesigen Schrank! Wieso ist meine Wohnung in der Schweiz übervoll mit Dingen, die ich ja ganz offensichtlich gar nicht zum Leben brauche?
Ich könnte ohne Weiteres die Hälfte weggeben und hätte immer noch zu viel. Auf dem Weg habe ich schon nach wenigen Tagen gemerkt, wie unglaublich befreiend es ist, praktisch nichts zu haben.
Gerade wenn ich an diesen Neubauten vorbeigehe, aus dem Ei gepellte Einfamilienhäuser, eingezäunt, der Rasen perfekt gepflegt und dazu wie selbstverständlich ein Swimmingpool. Fast täglich sehe ich sie. Alles sauber, die Liegen bereit, das Wetter passt. Nur, noch nie habe ich jemanden in einem dieser Pools baden sehen. Am Abend zur Feierabendzeit, wenn ich nach einem Tagesmarsch durch den schmalen unwegsamen Trampelpfad entlang einer grossen Strasse stampfe und die Autos einen Meter neben mir vorbeirasen, verstehe ich aufeinmal warum. All diese armen Leute müssen den ganzen Tag im Büro verbringen, um sich so einen Luxus überhaupt leisten zu können. Und wenn sie dann endlich zu Hause sind, haben sie keine Zeit, in Ihren teuren Pool zu springen, weil sie bestimmt den ganzen Abend dafür aufwenden müssen, ihren Rasen so perfekt zurechtzumähen.

24 Juli 2008

Das Wandern ist des Müllers Lust...


(WZ-Kolumne)

...es kann aber auch ganz schön lästig werden. Von den Pilgerhorden hatten wir es ja bereits; da gibt es aber noch einiges. Stell dir nur mal vor, es regnet seit mehr als einer Woche täglich. Zwar meistens nur kurz, dafür aber heftig. An all den wunderschönen, stark frequentierten Wanderwegen geht das natürlich nicht spurlos vorbei. Fertig Magie des Wegs. Jetzt kommt dicke Post. Deine Wanderschuhe musst du alle paar Meter vom Schlamm befreien, wenn du ihn nicht kiloweise mitschleppen willst.

Bei jedem Schritt darfst du entscheiden, ob du bis zu den Knöcheln im Matsch versinken, oder doch lieber ein Ausrutschen riskieren willst (gut, wenigstens wäre der Fall ein weicher). Dann führt uns unser geliebter Weg natürlich nicht in die Nähe einer asphaltierten Strasse, die wir unter diesen Umständen für einmal mit Handkuss nehmen würden, nein, er macht mit uns noch einen netten kleinen, 7km langen Abstecher durch einen dunklen, feuchten Wald, in dem nur jemand sich zu Hause fühlt: Mücken! Willkommen auf Schwierigkeitsstufe drei: neben Steckenbleiben und Ausrutschen, gilt es nun auch noch sich effizient gegen die Blutsauger zu wehren. Durch das stete Abwimmeln der Mücken mit der einen Hand (die andere führt den Wanderstock) wird es nicht unbedingt einfacher, die Balance auf dermassen glitschigem Terrain zu halten. Doch, du magst es verstehen, geneigte Leserin, geneigter Leser, dass ich mir die Frage in solchen Momenten scheu zu stellen wage: Was tue ich hier eigentlich?!

18 Juli 2008

Pilgern à la carte

(WZ-Kolumne)

Pilger sind ein friedliches und interessantes Volk. Man findet immer wieder Leute mit der gleichen Wellenlänge und ist auch als Einzelpilger nie wirklich allein, wenn man nicht will. Doch manchmal fangen sie auch an mich zu nerven, diese Horden von Pilgern. Gewisse jedenfalls. Viele Franzosen zum Beispiel machen nur Etappen von ein oder zwei Wochen auf dem Jakobsweg im eigenen Land. Da sie zudem oft in grösseren Gruppen unterwegs sind und sich ihre Plätze in den Gîtes (so heissen die Pilgerherbergen in Frankreich) schon weit im Voraus reserviert haben, kann man als Einzelpilger schon mal Schwierigkeiten bekommen, noch Unterkunft zu finden. Viele von ihnen können es sich leisten, sich das Gepäck per Auto von Etappe zu Etappe nachführen lassen (und was diese Sorte Pilger auf die Reise mitnimmt, IST Gepäck und nicht bloss ein Rucksack!), also frage ich mich, warum sie sich nicht auch ein Hotel leisten anstatt uns weniger gut betuchten Pilgern die billigen Plätze in den Gîtes wegzuschnappen.
Erschreck nicht, der Weg macht einen im Allgemeinen schon eher ruhiger und friedfertiger, aber wenn ich diese Sonntagsspaziergänger dann jeweils am frühen Morgen mit ihren neuen, leichten Turnschühchen und kleinen Lunch-Rucksäckchen auf ein 16 Kilometer-Etäppchen davonhüpfen sehe, während ich meinen 10 Kilo-Rucksack und meine verdreckten Wanderschuhe anschnalle und mich gemächlich auf den Weg mache, bringt mich das einfach auf die Palme!

11 Juli 2008

Am Morgen

(WZ-Kolumne)

Mit dem Sonnenaufgang und Vogelgezwitscher aufwachen. Kein Wecker. Aufbrechen, wieder und wieder, jeden Tag weiter - "Ultreïa!", so singen es die Pilger seit Jahrhunderten. Es langsam angehen. Spüren welches Tempo heute das Richtige ist. Gedanken kommen und gehen lassen. Plötzlich überrascht feststellen, dass man die letzten paar Minuten überhaupt nichts gedacht hat - welch eine Ruhe! Die Sonne im Rücken gegen Westen gehen; sie schiebt mich an in die richtige Richtung. Es zieht mich dahin, ich kann es nicht erklären. Schon mal kurz von der Freude kosten, die mich am Ziel erwartet, oder beim Wiedersehen mit meinen Lieben. Was ich alles zu erzählen haben werde! Aber nicht zu lange schwelgen. Es sind ja noch 1000 Kilometer. 1000 Kilometer? Verrückt...Die frische Luft trinken. Das verheissungsvolle, morgendliche Licht in den Feldern, auf den Hügeln, vor mir, neben mir, um mich herum nichts als Natur, so weit ich sehen kann. Kein anderer Mensch weit und breit, kein Lärm, keine Autos. Bin ich nun Königin oder Pilgerin?

Einen schönen Platz für die erste kleine Pause entdecken; als ob er auf mich gewartet hätte. Nur auf mich, gerade heute und jetzt in dem Moment. Ich fühle mich willkommen. Das Gefühl haben, der erste Mensch zu sein, der hier vorbeigeht und es geniessen, wohlwissend, dass schon Millionen vor mir diesen Weg gegangen sind. Ob es wohl deshalb ist, dass ich mich so aufgehoben fühle? Ich sehe niemanden, aber ich bin nicht allein. Das ist die Magie des Wegs.