30 Oktober 2009

Vom Leben und Sterben

Im Hinterkopf noch "Vater geht" aus dem Magazin N° 34.

Das Zitat von einem Vertreter einer Sterbehilfeorganisation gestern Morgen in den Nachrichten lässt mich nicht mehr los:
„Viele Leute sind Laien, sie wissen nicht, wie man stirbt.“
Ich glaube, ich habe noch nie einen absurderen Satz gehört. Er hätte genauso gut sagen können „Viele Leute sind Laien, sie wissen nicht, wie man einen Teppich legt.“ Als ginge es um etwas hundsbanales.
Gut, Sterben IST etwas Hundsbanales.
Aber Sterbehilfe?
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„Viele Leute sind Laien, sie wissen nicht, wie man stirbt.“
Oh ja! Stimmt, das ist eine ernst zu nehmende Bildungslücke! Gibt es denn Kurse, wo man das Sterben lernen kann? Und krieg ich am Ende auch ein Zertifikat?
„T.H. hat erfolgreich den Kurs „Sterben – so macht's der Profi“ absolviert und mit der Note „sehr gut“ bestanden.“
Aber lebe ich denn danach überhaupt noch?
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Eigentlich ist dieser scheinbar leichtfertige Umgang mit Sterbehilfe nur die letzte Konsequenz der Art und Weise, wie man heute lebt:
Sterben ist so intim. Zu intim. Man will sich ja nicht die Blösse geben.
Show bis zum letzten Atemzug.
Kontrolle bis zum letzten Atemzug.
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Verliert nicht das Leben an sich durch diese Idee der Sterbehilfe seine Grundlage? Wenn ich mir die letzten Mühen (eines nicht vorher bestimmbaren, nicht zu kontrollierenden Sterbens) ersparen will, wie gross ist dann noch der Schritt, sich auch die Mühen von vor dem Sterben, also zum Beispiel die vom Altern überhaupt, ersparen zu wollen? Die Verzweiflung der Midlife Crisis? Die Schmerzen einer Trennung? Die Mühen des Lebens an sich?
Um konsequent zu sein, müsste die Sterbehilfe ihr Geschäft eigentlich bei Abtreibungen beginnen und die armen Ungeborenen von Anfang an vor dem Leid des Lebens verschonen.
Leben IST Sterben.

Und so gesehen ist der Satz des Mannes in den Nachrichten gar nicht mehr so absurd.
Viele Menschen sind Laien, sie wissen nicht, wie man lebt.

29 Oktober 2009

Berge, Flüsse, Seen

(WZ-Kolumne)
Ach wie lob ich mir doch den Zug! Kein Ort ist besser für die Inspiration, denn nirgends bekommt man gratis und legal mehr Einsichten in die Tiefen und weniger Tiefen des Seins anderer Leute. Oder man wird ganz einfach gut unterhalten. Wie eben auch auf dieser Fahrt nach Luzern. Da sitzt ein Vater mit seinen drei Kids im Abteil neben mir und sie spielen ein lustiges Ratespiel. Es gilt, möglichst rasch einen Begriff mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben zu finden. Diesmal soll es ein See oder ein Fluss sein. Das Glücksrad bleibt bei „L“ stehen und eins der Kinder reagiert sofort.„Luzernersee!“ Auch wenn diese Antwort nicht so ganz korrekt war - die Sympathie war dem Jungen von allen Seiten sicher und jedem Passagier im ganzen Wagen stands ins mild lächelnde Gesicht geschrieben:
"Wie süss!“

In Luzern mit seinem schönen Luzernersee stieg ich um auf den Züri-Zug, wo mich Mitreisende eines ganz anderen Schlags erwarteten.

Der ganze Wagen war genötigt, das Handy-Gespräch eines offensichtlich sehr von sich selbst angetanen Mitmenschen mit anzuhören. Er sprach ohne Punkt und ohne Komma. Ich wüsste jedenfalls nicht, wo da ein mögliches Gegenüber überhaupt noch die Chance gehabt hätte, etwas dazwischen zu sagen. Vielleicht war da ja nicht mal einer am anderen Ende... Aber nun gut. Dass der quasselnde Passagier Deutscher war, würde ich hier eigentlich gerne unerwähnt lassen, denn ich möchte keine Vorurteile zementieren. Nur leider ist es für diese Geschichte tatsächlich unumgänglich. Er war also Deutscher. Und zwar ein „ach ich wohn jetzt echt schon so lange in der Schweiz, ich bin selber schon ein richtiger Schweizer“-Deutscher. Davon jedenfalls berichtete er lauthals an seinem Handy. Natürlich auch, wo er gerade war und wie schön es doch hier sei, in seiner Schweiz. So hörten denn auch alle mit, wie er, als wir am schönen Rotsee vorbeifuhren, seinen Gesprächtspartner wissen lies „Ja und jetzt fahr ich hier grad am Luzernersee vorbei.“

Wenn darauf nicht alle anderen Passagiere verlegen ihre Köpfe in irgendwelche Zeitungen gesteckt hätten, wäre in ihren Gesichtern ausnahmslos zu erkennen gewesen, was auch ich dachte:
„Wie peinlich!“

19 Oktober 2009

Bemerkt


Thomas Bucheli wollte sicher schon als kleiner Bub Regenschauer werden.

17 Oktober 2009

Flussgelée


da sitz ich nun und denke nur.

die zeit geliert.

altersheimstimmung.

alzheimerstimmung

wär mir lieber.

14 Oktober 2009

schmuddelwettergedanken

Das Scheisswetter hat ja auch einen nicht zu verachtenden Vorteil: Es schafft Gelegenheit zum Rückzug in die eigenen, wohlig warmen vier Wände. So habe ich für meinen Teil heute offiziell meine Bade(wannen)-Saison eröffnet und dabei die vorwinterliche Stille genossen. Bis...
Plötzlich höre ich lautes Stöhnen. Na toll.
Aber gut, sowas war ja eigentlich zu erwarten, denn auch dazu schafft das Scheisswetter vortrefflichst Gelegenheit.
"Oooooaaah! Ja!"
"Chum, mach!"
Das Stöhnen kommt nicht von irgendwo im Haus, nein, es kommt aus unserer Wohnung! Uii...peinlich...dabei hatte ich gar keinen Männerbesuch einer meiner Mitbewohnerinnen mitgekriegt. Ich versinke im Kakao-Vanille-Badewasser und will einfach gar nichts mehr hören.
(Ja, dort kam mir dann auch sehr schnell wieder in den Sinn, dass man unter Wasser noch mehr hört, als oberhalb...)

Nach meinem Bad wollte ich wenigstens wissen, was für ein Prachtskerl meine Mitbewohnerin so beglückt hatte und schlich an ihrer Tür vorbei, die einen Spalt breit geöffnet war. Da war nicht nur ein Mann, da waren 22 kleine Männchen auf einem Bildschirm und sie hatten nichts anderes im Kopf als Fussball. Genau wie meine Mitbewohnerin.

13 Oktober 2009

Im Bus, Nimbus, Fidibus!

Heute Morgen im Bus...
...versüsste mir ein Baby-Spanier die Fahrt zur Arbeit. Er berichtete seiner Mutter konzentriert und ohne müde zu werden von den Häusern, die er vorbeiziehen sah: "Hay casas pequeñas, hay casas bonitas, hay casas tristas, hay casas riojas, hay casas altas, hay muuuchas casas! Hay casas viejas, hay casas feas, hay casas coloradas, hay casas..." Ich stieg aus, er machte weiter. Tut er wohl noch so lange, bis er Architekt geworden ist.

Heute Abend im Bus...
...fuhren alle anderen Passagiere rückwärts. Da bekam ich plötzlich das Gefühl, ich sässe irgendwie verkehrt herum.

03 Oktober 2009

Wartezimmer

(Appell an mich selber und an alle)

Es gibt ein Wort, das ich gerade besonders verabscheue: VERSCHIEBEN! Aaarrrggh! Schon wenn ich es nur schreibe... Man kann Dinge wie Möbel verschieben, das ist wunderbar, gibt einen frischen Wind in die Hütte, es können sich Werte oder Prioritäten im Leben verschieben, auch das ganz wichtig, denn wo kämen wir hin ohne Wandel.
Aber was einfach gar nicht geht, ist das Leben auf später zu verschieben.
Geschichten erzählen und hören? Ach, geht grad schlecht, passt morgen auch noch?
Zusammen lachen? Ach, grad keine Zeit, wollen wir nächste Woche?
Den schönen Herbst geniessen? Ach grad keine Zeit, können wir ja sonst nächstes Jahr. Naja, aber wir haben ja auch schon den Sommer zu geniessen auf nächstes Jahr verschoben, das könnte also ganz schön streng werden, so dass wir dann nächstes Jahr entweder den Sommer- oder den Herbstgenuss nochmal um ein Jahr verschieben müssen.
Was zum Geier ist denn bitteschön so tausend wichtiger, als das Leben zu geniessen??! Das macht mich so aaaarrrggghh! Wie kann man Freude, die just grad in dem Moment raus und geteilt sein will, auf später verschieben? So wird sie zu Trauer und die Trauer, für die auch keine Zeit ist, fängt an zu gären und wird zum giftigen Klumpen, den zu verdauen so anstrengend ist, dass danach kaum noch genug Kraft bleibt, es nochmal mit neuer Freude zu versuchen.
Ach, verschiebe sich doch auf nächstes Jahrhundert, wer mag.
Ich will jetzt leben.
Tschüss.