13 Oktober 2011

Das Tabu unter den Tabus

Wie treffend es der Autor festgehalten hat. An Anlässen, wo man die Leute nicht wirklich kennt und wo es vor allem darum geht, irgendetwas darzustellen, wird in jedem Fall über mindestens eines oder mehrere dieser Themen geredet:

A) Das Aussehen: "Oh, wie elegant sie sind", "Ihr Kleid ist sehr hübsch", "Sie sehen blendend aus". Wenn sie dann nach Hause gehen, reden sie darüber, wie schlecht die Leute angezogen gewesen seien und wie übel alle aussahen.
B) Kürzlich unternommene Reisen: "Sie müssen Aruba besuchen, es ist fantastisch", "Nichts ist so gut wie ein Martini am Strand von Cancún an einem Sommerabend". In Wahrheit hat sich keiner von ihnen so richtig amüsiert und das Gefühl von Freiheit dauerte auch nur ein paar Tage, aber nun müssen sie es ja mögen, sie haben schliesslich viel Geld dafür ausgegeben.
C) Noch mehr Reisen, diesmal ambivalente Destinationen: "Ich war in Rio de Janeiro, Sie können sich nicht vorstellen, wie gewalttätig diese Stadt ist", "Das Elend in den Strassen Kalkuttas ist überwältigend". Eigentlich aber sind sie nur dorthin gereist um sich überlegen zu fühlen während ihrer Reise, und privilegiert, sobald sie zurück waren und sich wiederfanden in ihrem kleinlichen Dasein, in dem es aber immerhin weder Elend noch Gewalt gibt.
D) Neue Heilmethoden: "Weizenkeimsaft während einer Woche verbessert das Haarbild", "Ich war zwei Tage in einem Spa in Biarritz, das Wasser dort öffnet die Poren und schwemmt Gifte aus". Eine Woche darauf werden sie entdecken, dass Weizenkeime keine besondere Wirkung haben und dass alles warme Wasser die Poren öffnet und Gifte ausschwemmt.
E) Die anderen: "Es ist lange her, dass ich Jenen gesehen habe, was ist aus ihm geworden?", "Ich habe erfahren, dass Jene ihre Wohnung verkaufen musste, weil sie in Schwierigkeiten steckte". Man kann über all jene reden, die nicht ans fragliche Fest eingeladen wurden, man kann sie kritisieren, aber am Ende macht man eine unschuldige und mitfühlende Mine und sagt "Ja ja, aber alles in allem ist sie doch eine wirklich aussergewöhnliche Frau".
F) Kleine persönliche Unzufriedenheiten, um etwas Salz in die Unterhaltung zu bringen: "Ach ich wünschte es würde mal etwas Neues passieren in meinem Leben", "Ich mache mir Sorgen um meine Kinder, was sie hören, ist keine Musik, was sie lesen, keine Literatur". Sie hoffen auf die Kommentare der Leute, die dasselbe Problem haben, dann fühlen sie sich weniger allein und gehen froheren Mutes nach Hause.
G) An intellektuellen Abenden wie diesen diskutiert man über den Krieg im Mittleren Osten, die Probleme mit dem Islamismus, über die neuste Ausstellung, über den zeitgemässesten Philosophen, das geniale Buch, das keiner gelesen hat, die Musik, die nicht mehr ist, was sie einmal war; alle geben ihre intelligentesten, vernünftigsten Ansichten zum Besten, die jedoch total entgegengesetzt zu dem sind, was sie wirklich denken - wie lästig es ist ihnen nämlich, an all diese Ausstellungen zu gehen, diese unerträglichen Bücher zu lesen, diese perfekten Filme anzuschauen, die so perfekt langweilig sind, alles nur, um mitreden zu können an Anlässen wie diesen.

(Aus: "Le Zahir" - Paulo Cohelo. Aus dem Portugiesischen ins Französische übersetzt von Françoise Marchand-Sauvagnargues. Aus dem Französischen ins Blogdeutsche von mir.)

PS: Abgesehen davon, dass das ganze Buch sehr lesenswert ist, ist es im Besonderen lesenswert, wie danach beschrieben wird, dass es an einem solchen Abend dann eben tatsächlich genau so abläuft, wie vorausgesehen, wie dann aber der Ich-Erzähler allen Mut zusammen nimmt und am Tisch mit arabischen Prinzen, Wirtschaftsbossen und anderen "Wichtigkeiten" vorschlägt, doch mal über etwas anderes zu reden, zum Beispiel darüber, was sie denn alle so verdienten :-)

09 Oktober 2011

Satzragout (zum Wiederkäuen)

Die letzten paar Tage bin ich unter die Sammler gegangen. Neeein, keine Pilze. Sätze! Die kann man ja auch auflesen, pützeln und sortieren. Hab ich gemacht. Und schaut ja gut hin, nicht dass euch ein giftiger entwischt.

Gedacht: Wenn Früchte Aktion sind, ist was faul.
Gehört: Eine Kugel kommt um die Ecke und fällt um.
Gehört (eine nicht-Schwangere zu einer Schwangeren): I wünschdr alls Guete und dasses guet usechunnt.
Gelesen: Suche für unser Schullager (7. Klasse) eine männliche Laberbegleitung.
Gedacht
: Thomas Bucheli wollte sicher schon als kleiner Bub Regenschauer werden.
Auch kurz an Jörg Kachelmann gedacht und dann
gelesen (bei Hesse): „Ein Verbrecher“, das sagt man so und meint damit, dass einer etwas tut, was andere ihm verboten haben.
Gehört: In Zeiten der Klimaerwärmung werden die Leute immer kälter. (Gedacht: Wenns wenigstens etwas nützen würde!)
Gelesen (auf einer Toilette): Wenn Ihnen ein Missgeschick passiert, sagen Sie uns bitte Bescheid, wir helfen Ihnen gerne weiter. (Gedacht: Oh ja klar, sofort. Liebend gerne!)
Gelesen (bei einer Imbissbude): Falafel zum Preis wie vor 60 Jahren!
Gedacht: Je älter man wird, desto mehr Altes gibt es, über das man hinweggekommen ist (Idealfall). Je älter man wird, desto mehr Altes gibt es, das man immer noch mit sich herumschleppt (Normalfall).
Gehört: Immer nur das zu tun, was man will, ist egoistisch und schlecht. (Gedacht: Das ist aber schlecht!)
Gesungen: De Hans im Schnäggeloch het alles was er will. Was er will, das het er ned, was er het, das will er ned. De Hans im Schnäggeloch het alles was er will.
Gehört (von Mani Matter): Nei säget sölle mir vo nüt meh andrem tröime. Mir wo müesse läbe i de gottvergässne Stedt. Wo men uf em Trottoir louft und we men über d Strass wott, mues warte bis me vom'ne grüene Liecht d Erloubnis het. Und we mes nid so macht, de wird men überfahre; isch das der Ändpunkt vo'r Entwicklig vo füftuusig Jahre.
Gelesen: In unserem System ist eine Fabrikanlage mit rauchenden Schloten Milliarden Dollar wert, ein intakter Wald dagegen nichts.
Gedacht: Bitte nicht noch höher, schneller und weiter – lieber nah, langsam und mehr dem Boden nach.
Gelesen (im sms): Hoi ich bin im Hallenstadium. Kommst du auch? Geantwortet: Nein, ich bin noch nicht so weit.