19 Mai 2013

Schwache Vorstellung

Das Leben kann ja so ein Theater sein!
Ich bin sonst nicht so für Seelenstriptease, aber das hier muss jetzt einfach irgendwie raus.
Ich hatte heute einen Schwächeanfall (was ist das überhaupt für ein blödes Wort, kann Schwäche einen anfallen, schwach wie sie ist??!). Item irgendwie hat es natürlich schon etwas, es kommt halt ziemlich plötzlich. Aber eben, das passierte mir und es ist nicht lustig. Noch weniger lustig ist es, merkte ich eben heute, wenn andere Leute einem dabei zusehen können.
Das Zusehen allein wäre ja noch einerlei, aber wie dann alle plötzlich helfen wollen: Grausam! Ich möchte hier nicht Hilfsbereitschaft per se in Frage stellen, wissend, dass ich wohl auch einmal froh darüber sein könnte und auch weil ich den wenigen dankbar bin, die mir heute wirklich eine Hilfe waren. Aber. Eben, das ging so.
Meine Idee war es, möglichst rasch zum Bahnhof und dann nach Hause zu kommen, ich konnte die sehnsüchtigen, herzzerreissenden Rufe meines mich vermissenden Bettes förmlich hören. Dies in die Tat umzusetzen schien mir denn auch der einzig logische nächste Schritt. Aber ich hatte die Rechnung ohne meine Helfer gemacht. Die meinten nun nämlich, es sei besser, erstmal die Sanität auf dem Areal des Anlasses aufzusuchen, die würden mir dann helfen. Und in dem Zustand könne ich doch sowieso nicht zum Bahnhof gehen und nach Hause fahren.  
Wie sollen die von der Sanität mir denn helfen, etwa mit Händchenhalten? dachte ich, aber war zu schwach um dagegen zu halten und so trottete ich den Helfenden hinterher. Wir schuhnten quer durchs halbe Gelände nur um  herauszufinden, dass dieser Sanitätsposten offenbar ziemlich gut versteckt ist. Toll. Klar, mit dem Bus zum Bahnhof könnt ich nie im Leben, aber ein paar (gefühlte) Kilometer Getschaagge hier auf dem Gelände, peanuts! Nun gut, ich mag eh nichts sagen. Ich warte also in der Kälte, es wird herumtelefoniert, jemand holt jemand anderen dazu, usw. Irgendwie ist mir das ja jetzt schon zu fest ein Drama. Ich möchte ja nur absitzen oder liegen oder so. Irgendwo in der Ferne höre ich, aha, es gebe tatsächlich keine Sanität hier, aber ich könne in das und das Büro und bla bla... ich versteh gar nicht mehr, was die sagen. Nur Büro, warm, sitzen, Ruhe, ich zufrieden. Ich trotte der anwachsenden Helferschar nach, die immer wieder mal auf mich warten muss. Eigentlich wär ich ja noch froh um eine Stütze, aber ich mag nicht noch mehr Drama und von den Helfern kommt es selber keinem in den Sinn. Nun denn, ich werds wohl schaffen.
In besagtem Büro angekommen, erblicke ich den Sessel, mein gelobtes Land. Mein Bett zu Hause muss jetzt stark sein, aber sorry, ich war schwach und konnte einfach nicht widerstehen. Ich lasse mich in seine kuscheligen Arme fallen. Nun kann ich hier in Ruhe ein Weilchen sein und es geht sicher bald wieder ein wenig besser. Denke ich. Der helfende nicht-Sanitäter will aber lieber zuerst noch eine Runde "Wer wird Millionär?" mit mir spielen und stellt mir tonnenweise, für mich in dem Moment einfach nur kräftezehrende, dumme Fragen. Was denn genau das Problem sei? - Hmpf? Ich erzähl dem doch jetzt nicht meine ganze Krankengeschichte!? Abgesehen davon, wenn ich wüsste, wo das Problem läge, hätte ich vielleicht eher weniger einen Schwächeanfall, oder? Hirni? Ich sage wenig, er frägt umso mehr. Ob ich was gegessen hätte? Na klar hab ich, bin ich blöd oder was? Ob es einen Partner gäbe, den er verständigen soll? Herrgott, wozu? Für den Telefonjoker?
Irgendwie hab ich das Gefühl, die wollen mich mehr loswerden als mir helfen. Aber das ist mir egal, sobald ich ihn abwimmeln kann. Endlich Ruhe. Das ist mir grad alles dermassen zu viel, meine Sicht wird wässrig, ach lasst mich doch einfach alle in Ruhe jetzt!
Da höre ich wie eine Art Elefant in mein ruhiges Porzellanbüro prescht. Oh und der Elefant hat sogar eine orange Sanitätsweste an. Scheints bin ich eine Runde weiter. Die Fragen werden jetzt noch kniffliger und die Fragende noch schwerer loszuwerden. Zuerst aber natürlich alles nochmal von vorne. Was? Wie? Seit wann? Warum? Ich hab echt kaum noch die Kraft, irgendwelche Worte zu formulieren, aber das übersieht der orange Elefant grosszügig. Was ich jetzt machen wolle? Ich erzähle auch ihr, dass ich hier noch ein wenig ausruhen und dann zum Bahnhof gehen wolle. Der Elefant fährt mich an "So können Sie nicht zum Bahnhof gehen!" Holy shit, wo bin ich denn hier rein geraten? Wenn die wüsste, in welchen Zuständen ich schon zum Bahnhof gegangen bin! Aber abgesehen davon, ich mag schwach sein, aber das heisst noch lange nicht, dass die einfach so über mich bestimmen kann! Hallo?! Eine Frechheit.
Aber es kommt noch doller. Ob sie den Krankenwagen rufen soll. Wenn Sie mich weiter so quälen, wohl schon, ja! Ich muss tatsächlich meine allerletzte Energie dafür aufwenden, ihr mein Nein mehrfach unmissverständlich klar zu machen, sonst hätt ich den heutigen Nachmittag statt in meinem in irgend einem Krankenhausbett verbracht. So oder so bin ich um eine Antwort reicher, warum die Krankenkassen immer teuerer werden (neben solchem Zeug hier natürlich).
"Das ist eine Unterzuckerung!" ruft sie nun plötzlich aufgeregt, als ob ihr gerade die Antwort auf die alles entscheidende Millionenfrage eingefallen wäre und walzt in Richtung Kochecke, um mir "Wasser und Zucker" parat zu machen. Leise lasse ich verlauten (so gut das leise halt geht!), dass ich wisse wie sich eine Unterzuckerung anfühlt, dass dies keine sei und dass Zucker bei mir sowieso nicht in die Tüte komme. Ach so....Hmm...Dann hole sie mir jetzt ein Aspirin! So so, ein Aspirin als ultima ratio?! Was ist das hier, ein heiteres Heilmittelchenraten? Nein danke, ich bin doch kein Versuchskaninchen! Ohne Scheiss, mittlerweile gehts mir schlechter als bevor mir "geholfen" wurde. Und das liegt nicht nur an der aufdringlichen Fragerei, sondern auch daran, dass diese Leute, v.a. der Elefant, mir das Gefühl gibt, ich stürbe in drei Sekunden, wenn ich mir jetzt nicht sofort irgendwas von ihr einflössen lasse. Die Frau raubt mir alles, was ich noch habe, genau so wie sie wohl die orange Weste irgendwo hat mitgehen lassen. Ich muss mich echt zusammenreissen, um nicht der allgemeinen Panikmache zu verfallen, sondern (als Einzige in dem ganzen Theater!) einigermassen ruhig und vernünftig zu bleiben. Meine eigene Wahrnehmung mag getrübt sein, aber diese Frau Sanität ist auch nicht die hellste.
Als ich unter dem ganzen Fragenhagel endlich auch mal selber zu Wort komme, kann ich ihr doch tatsächlich verklickern, dass mir ein Tee helfen würde. Nach einer gefühlten Ewigkeit halte ich endlich eine heisse Tasse in meinen klammen Händen. Und der Herr nicht-Sanität bringt sogar noch eine Decke. Nach mehrmaligem Wiederholen, dass ich jetzt einfach RUHE brauche, schlucken sie es und gehen. Endlich. Ende der Vorstellung. Aber Applaus gibts dafür beim besten Willen keinen.