14 September 2008

Scheuklappen bitte!

(WZ-Kolumne)
Kurz nach meiner Rückkehr traf ich mich mit einer Freundin in Bern. Ich konnte es kaum geniessen, denn ich war heillos überfordert. Jetzt hatte ich doch während Monaten jedem Menschen in die Augen geschaut, mit allen gesprochen, die ich traf, alles um mich herum betrachtet und vor allem: Mir Zeit gelassen! Und hier? Unmöglich! Mir wurde schwindlig ob all den Farben und Gesichtern, die zu schnell und zu zahlreich an mir vorbeihuschten als dass ich sie mir recht hätte ansehen können. So stolperte ich geradezu durch die Menschenmassen, wurde hin- und her geschubst und kam mir vor wie eine Ausserirdische.

Daraufhin sah ich ein, dass ich den Alltag ohne Scheuklappen, also ohne bewusstes Ausblenden, gar nicht ertrüge. Traurig, denn klar war ebenso, dass mir dadurch etwas fehlen würde. Mittlerweile glaube ich jedoch, die Balance gefunden zu haben. Ich spiele zwar oft wieder mit bei dem Spiel, in dem es darum geht, möglichst unbeeindruckt durch die Gegend zu laufen und so zu tun, als sähe man niemanden. Durch das Erlebnis in der Stadt habe ich aber Verständnis für dieses Verhalten gewonnen. Es ist gewissermassen auch Selbstschutz, weil man eben gar nicht dauernd alles aufnehmen KANN.

Der Alltag ist mir also auf den Fersen und meine Zeit auf dem Jakobsweg kommt mir schon lange vor wie ein Traum. Fast täglich jedoch blitzen Erinnerungen in mir auf und ich entledige mich kurz meiner Scheuklappen. Dann gehe ich lächelnd durch die Strassen und nehme mir Zeit, alle und alles anzuschauen. Ich fühle mich dann zum Glück nicht mehr wie eine Ausserirdische, bin aber sicher, jetzt komme ich einigen so vor :)