21 August 2008

Am Morgen II

(WZ-Kolumne)

"Am Morgen" gelesen? Die pure Pilger-Idylle in Frankreich? Ich muss sie revidieren. Seit ich in Spanien unterwegs bin, kann ich von solchen Morgen leider oft nur noch träumen. Ich möchte Ihnen deshalb nun auch die weniger idyllischen Seiten des Pilgerns nicht vorenthalten:
Erwachen durch das nervöse Licht der Taschenlampen, aufgeschreckt durch das Gequietsche und Gerüttle der Kajütenbetten. Fremde Wecker.
Aufbrechen, schon wieder so früh! Jeden Tag früher habe ich den Eindruck. Die Sonne brennt mir bereits nach wenigen Stunden im Rücken. Sie jagt mich in die richtige Richtung. Einen Platz für eine Pause erhaschen - da muss man sich sputen. Aber auch eine Autobahnbrücke spendet Schatten. Ich versuche den Lärm der vorbeirauschenden Autos auszublenden.
Es ist schwer, es langsam anzugehen am Morgen. Das richtige Tempo? Ich fühle mich verfolgt von Pilgern, bin eingeklemmt zwischen ihnen. Vor mir, neben mir, um mich herum nichts als Pilger. Hier und dort wird geplaudert, gequasselt, "gschnäderet". Mir war noch nie klarer, dass diesen Weg schon Millionen gegangen sind und ihn noch gehen werden. Dazu setzen mir lärmige, stinkende Strassen zu. Ein Wunder, wenn mal eine Minute Ruhe ist. Ich lenke mich
ab mit Gedanken ans Wiedersehen mit meinen Lieben, es sind ja bloss noch 200 Kilometer. 200 Kilometer? Meine Güte, ein Katzensprung! Doch lange kann ich nicht bei diesen Gedanken verweilen. Ich weiss nicht mehr recht wie atmen, die Abgas-getränkte, heisse Luft brennt mir in der Nase und im Hals. Bin ich nun Pilgerin oder Gefolterte?
Und trotzdem gehe ich weiter, immer weiter. Auch irgendwie magisch, oder?